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Bankrotterklärung einer Ikone – ein Verlag schafft sich ab

Man muss kein Medien-Profi sein, um sich mit der Vorstellung schwer zu tun, man könne ein Magazin gänzlich ohne Textredakteure machen. Auch die Leserinnen der ‚Brigitte‘, DIE deutsche Frauenzeitschrift schlechthin und eines der echten Flaggschiffe des Gruner+Jahr-Verlags, haben sich möglicherweise die Meldung erstaunt, zweifelnd und gewiss erschüttert bis verärgert auf der Zunge zergehen lassen, die in dieser Woche für Wirbel in den Medien sorgte: Der Verlag kündigte an, ALLE schreibende Redakteurinnen und Redakteure der ‚Brigitte‘ zu entlassen. Unweigerlich fragt man sich, was diese Nachricht für den Textanteil des Frauenblattes bedeutet: Nur noch Bilder und ein paar PR-Beiträge? Vielleicht die auch noch von den Anzeigenkunden? Die Modestrecken nur noch versehen mit den Angaben zu den Herstellern und Bezugsquellen? Wo bleibt der ganze Psychokram, die ausführlichen Beautytipps und die weibliche Sicht auf gesellschaftliche Phänomene; wo beibt also all das, was dieses Magazin seit Jahrzehnten ausmacht? Und ganz pragmatisch: Wer redigiert die Beiträge fremder Autoren, wer sorgt für die richtige, ansprechende Mischung aus Bild und Text? Man könnte alsbald beruhigt feststellen, dass es ausreichend freiberufliches Potenzial in der Berufsgruppe der Journalisten gibt, die thematisch in der Lage sein dürften, das aufzufangen, und auch, dass die Führungsriege dem Blatt erhalten bleibt. Andere Verlage haben es ja schon vorgemacht … Der Mediendienst Meedia nennt das die Strategie eines Redaktions-Apparats mit Häuptlingen, aber ohne Indianer. Im Übrigen haben die anderen Verlage auch weitestgehend vorgemacht, wie diese Strategie NICHT zum Erfolg führt.

Man kann es langsam nicht mehr hören: Im Markt dümpelnden bis nahezu untergehenden Objekten geben die Verlagsleitungen durch Rationalisierungen ohne Sinn und Verstand den letzten Rest und stoßen sie − bis zum Skelett abgemagert − vollends ins Verderben. Man stelle sich vor, den deutschen Autoherstellern würden die Käufer weglaufen, wie würden die Konzerne reagieren? Ingenieure rausschmeißen und die technischen Details zukünftig Freiberuflern überlassen? Fahrzeugdesigner vor die Tür setzen? Die eigene Marke vollkommen der Fremdbestimmung übergeben? Sich kaputtsparen? Würden sie nicht vielmehr investieren, Neues ausprobieren und das Produkt konsequent weiterentwickeln, um durch Innovation zu überzeugen, also größer denken statt sich noch kleiner zu machen? Selbst mir als absolutem Wirtschaftslaien erschließt sich die Logik dahinter. Alles andere ist der direkte Weg in den Untergang! Auch und gerade für Verlage. Alte Leidenschaften wecken und neue Leser gewinnen − das geht ohne Mut und Risikobereitschaft und ein paar geniale Ideen einfach nicht! Und ohne Mitarbeiter, die sich mit ihrem Magazin hundertprozentig indentifizieren, auch nicht.

Und genau so ist auch der zornige und unmissverständliche Kommentar des Medienexperten Thomas Koch zu verstehen, der ungehalten zu dem Thema Brigitte twitterte „Meine Damen und Herren, Sie erleben gerade den Untergang der deutschen Zeitschriftenkultur …“. Im Interview mit Meedia führt er seine deutliche Kritik an den Entlassungen bei Gruner+Jahr, von denen auch das Magazin GEO betroffen ist, weiter aus und holt noch zu ein paar weiteren harten Schlägen aus. Optimierung der Print-Medien? Fehlanzeige! Digitale Strategie? Ist in deutschen Print-Verlagen ein Fremdwort. Auch andere mediale Reaktionen sind mehr als harsch, es wird gar von Selbstmördern und Kannibalisierung bei Gruner+Jahr gesprochen. In dem Zusammenhang fällt auch gerne das Wort Brigitte-Diät … und hat plötzlich eine ganz neue Dimension. Einen guten Überblick zum Medienecho liefert erneut Meedia. Und nein, der Verlag handelt nicht konsequent, wie es zumindest eine Stimme behauptet. Nicht einmal aus Sicht freier Journalisten, denn der Rausschmiss der schreibenden Redakteure verheißt auch für sie nichts Gutes. Als nächstes geht es nämlich dann genau jenen an den Kragen, die jetzt darauf hoffen, von der Freisetzung der Kollegen zu profitieren. Selbstredend können freie Journalisten auch Qualität abliefern, doch das wird gegenteiliger Beteuerungen zum Trotz nicht das Kriterium für die Auftragsvergabe sein. Schön festgestellt, Herr Heintze, dass es immer einen gibt, der billiger produziert!

Der zwangsläufige Verlust der Qualität, die man bislang der ‚Brigitte‘ durchaus unterstellen konnte,  ist nichts anderes als das Eingeständnis des Bankrotts einer Ikone der deutschen Presselandschaft! Und von Gruner+Jahr wird in absehbarer Zeit dadurch noch viel weniger übrig bleiben als ein Namensschnipsel …

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